25 Jahre Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Köln-Longerich
von Helmuth Philipp
25 Jahre nach der Gründung der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo Kirche in Deutschland ist es erlaubt, Rückblick zu halten und sich einige kritische und erfreuliche Zeiten wieder in Erinnerung zu rufen. Auch wenn vor 25 Jahren die Verantwortlichen vernünftigerweise die Rechtsform eines rechtsfähigen Vereins, also eine erprobte Form, für die Gründung einer Kirche ausgewählt hatten, soll doch noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die äthiopischen Christen in Deutschland das große Wagnis unternehmen wollten, eine Kirche Jesu Christi aufzubauen. Wie jeder weiß, gibt es in Deutschland genug Kirchen, dominant sind je nach Region die katholische oder evangelische Kirche. Das ursprünglich so strikte Prinzip, dass es an einem Ort jeweils nur eine Kirche mit einem Bischof gibt, hat sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung sehr weitgehend aufgelöst, so dass heute an einem Ort wie Köln zum Beispiel die katholische Kirche, die evangelische Kirche, die griechisch-orthodoxe Kirche, die methodistische Kirche, die anglikanische Kirche, die Mormonen und noch weitere Kirche beheimatet sind, wobei hier nicht die Aufgabe gestellt ist, eine vollständige Auflistung aller Kirchen zu geben. Bei dieser Aufstellung wurde zum Beispiel nicht erwähnt, dass in Köln sogar zwei Erzbischöfe ihren Sitz haben, der Erzbischof der Römisch-Katholischen Kirche und der Erzbischof der Armenischen Kirche.
Die Migrationsbewegungen des 19. und 20. Jahrhundert haben eine weitgehende Mischung der Ethnien in einer Gesellschaft mit sich gebracht, die im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten deutliche Spuren in der Organisation der Kirchen hinterließen. Abgesehen von den Juden, die typischerweise ihrem althergebrachten Glauben samt Struktur treu blieben, kann für das Abendland beobachtet werden, dass die Migranten, die es zu jeder Zeit gegeben hat, sich innerhalb von 1 bis 2 Generationen der jeweiligen Ortskirche anschlossen. Bis zur Reformation war dies auch nicht weiter verwunderlich, da das Papstum für das Abendland die Idee des einen Glaubens und der einen Kirche aufrechthielt. Eine Durchmischung im Grenzgebiet von römischer und griechischer Kirche hat es auch kaum gegeben, teilweise auch wegen der sehr unterschiedlichen politischen Herrschaftsformen. Für das Abendland war das orthodoxe Kernland des Christentum spätestens nach den Ottonen, die eine Beziehung nach Konstantinopel (heute Istanbul) suchten und pflegten, aus dem Blick geraten, wie auch das gescheiterte Wiedervereinigungskonzil von Florenz kaum Auswirkungen auf das kirchliche Leben hatte.
Mit der Reformation wurde dann alles anderes, aber mit Verzögerung. Der Spruch „Cuius regio, eius religio“ (Wer die Herrschaft hat, bestimmt die Religion; gilt aufgrund des Augsburger Religionsfriedens von 1555 für Deutschland) bestätigte zunächst einmal das Prinzip der einen Kirche an einem Ort. Dieses Prinzip wurde dann aber immer mehr durchlöchert und spätestens nach dem 30-jährigen Krieg war klar, dass nicht mehr auszuschließen war, dass es zwei verschiedene Kirchen an einem Ort geben kann. Köln hat sich lange gesträubt, eine evangelische Kirche in seinen Mauern zuzulassen, worüber das übrige Europa, von den Gedanken der Aufklärung geleitet, nur lächeln konnte.
Nach dem 2. Weltkrieg und unter der Herrschaft des Grundgesetzes ist aber klar, dass das Prinzip der Religionsfreiheit prinzipiell beliebig viele Kirchen an einem Ort erlaubt; es ist klargestellt, dass es kein Monopol einer Kirche gibt; das staatliche Recht in Deutschland ist hier sehr klar und eindeutig. Bei der inneren Verfassung der Kirchen ist dies keinesfalls so klar und eindeutig. Eindeutig aus der Bibel ergibt sich nur, dass Jesus Christus, auf den sich alle Kirchen berufen, nicht von vielen Kirchen gesprochen hat. Ebenso eindeutig ist aber auch, dass aufgrund der geschichtlichen Entwicklung heute viele Kirchen existieren.
Zu den alten Kirchen gehört die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche, die 325 n. Chr. gegründet wurde. Sie wurde damals nicht als besondere Ortskirche gegründet, sondern als Teil der einen, den ganzen Mittelmeerraum ergreifenden christlichen Kirche. Wenn um 400 n. Chr. zum Beispiel eine Gruppe Äthiopier nach Rom verschlagen worden wäre, hätten sie sicher keine Kirche in Rom gegründet; sie hätten die Sprache lernen müssen und sich anpassen müssen, sie hätten in Rom oder Konstantinopel oder Alexandrien (Ägypten) oder Antiochien (Türkei) nur Beispiele der einen apostolischen Kirche gefunden. Das ist heute ausgeschlossen, denn nach den Konzilien von Chalcedon und Florenz gibt es keine eine apostolische Kirche. Über Jahrhunderte hatte es dann aber auch keine Völkerwanderungen gegeben, die dazu führten, dass größere Menge orthodoxer Christen sich in Italien oder sonstwo im Abendland niederließen und dort ihre eigene Kirche gründeten. Das trotz der sich vertiefenden Trennung der Kirchen eine wechselseitige Beeinflussung möglich war, zeigte sich dann in der Bewegung der Katharer, beeinflußt von den Bogomilen im Balkan, die dann in der Provence (Frankreich) blutig niedergeschlagen worden ist.
Für die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche selbst ist der Gedanke, dass sie in Äthiopien die einzige Kirche Jesu Christi ist, keinesfalls fremd. Die seit dem 19. Jahrh. einsetzenden Missionsbewegungen seitens der evangelischen Kirchen betrachtet sie äußerst argwöhnisch, die Ernennung eines römisch-katholischen Erzbischofs für Äthiopien wurde ausdrücklich als feindseligen Akt angeprangert. (Kein Wunder, dies war während des Krieges Italiens unter Mussolini gegen Äthiopien) Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche hatte über Jahrhunderte die schwere Aufgabe als isolierte Kirche das Christentum in einer muslimischen Umwelt zu behaupten. Man kann zwar nicht sagen, dass die Verbindungen völlig unterbrochen waren, aber diese waren doch sehr dünn. Das abendländische Christentum verlangte als Preis für die militärische Hilfe gegen den Überfall der Muslime den Verzicht auf die eigene Kirche und den Anschluß an Rom. Die Missionsbemühungen wurden aber von den äthiopischen Gläubigen nicht toleriert und der Kaiser sah sich gezwungen, zur eigenen äthiopischen Kirche zurückzukehren.
Die weitgehende Isolation der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche fand dann erst unter Kaiser Haile Selassie ihr Ende, denn dieser betrieb mit viel Erfolg eine gute Kooperation der in Chalcedon ausgeschlossenen Kirchen, öffnete den Dialog zur orthodoxen Weltkirche und wurde Gründungsmitglied des Weltkirchenrates. Darüber hinaus gelang es unter seiner Herrschaft der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche autokephal zu werden, das heißt, sich ihren Patriarchen selbst wählen zu dürfen.
Die Entmachtung Kaiser Haile Selassies und der nachfolgende Rote und Weiße Terror – auf Terror beruhende Herrschaft des Marxisten Mengistu – führte zu einer großen Fluchtbewegung aus Äthiopien, Tausende der Flüchtlinge kamen bis nach Deutschland und hatten nichts als ihr reines Leben gerettet. Dies war eine riesige Aufgabe der Ausländer- und Sozialbehörden, denn nach der jahrhundertelangen Isolation waren die äthiopischen Flüchtlinge überhaupt nicht vorbereitet, in einem fremden Land zu leben. Man kann wirklich nicht sagen, dass Fremdsprachenkenntnisse weit verbreitet waren unter den Flüchtlingen. Es war wirklich eine Katastrophe, die Flüchtlinge kamen unvorbereitet aus einem armen, geplagt von Dürre und Hungersnöten, und rückständigen Land, in ein postindustrielles westliches Land. Die Flüchtlinge kamen trotz der großen zu überwindenden Entfernungen in großer Zahl, aber nicht als Gruppe sondern als verängstigte Individuen. Ebensowenig war die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darauf vorbereitet, Flüchtlinge aus Schwarzafrika aufzunehmen, auch wenn der Flüchtlingsstrom aus Äthiopien die herrschende antikommunistische Ideologie zu bestätigen schien.
Die großen Kirchen in Deutschland selbst hatten das Problem der pastoralen Betreuung der Ausländer, die als Arbeitskräfte oder auch als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren, irgendwie gesehen und hatten zur Lösung eine Regelung getroffen, die die beiden Kirchen höchst unterschiedlich belasteten. Grob gesprochen wollte die katholische Kirche sich um alle Ausländer aus den „lateinischen“ Mittelmeerländern kümmern, also Menschen, die weitgehend katholisch waren, während sich die evangelische Kirche um die anderen, alle anderen, kümmern sollte, also Menschen, die weder katholisch noch evangelisch waren, also nicht so ohne weiteres als Glaubensschwestern und Glaubensbrüder angenommen werden konnten. In einer Zeit, als eine christliche genannte Volkspartei Wahlen mit einer Stimmung gegen die Zuwanderung von Ausländer zu gewinnen hoffte, konnte davon ausgegangen werden, dass keine der großen Volkskirchen es als gottgegebene Chance auffasste, ausländischen Mitbürger, den anderen, eine umfassende Hilfe leisten zu müssen.
Unter diesen Voraussetzungen brauchte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wirklich keiner daran zu denken, in Deutschland eine äthiopisch-orthodoxe Kirche zu gründen. Es kann auch deutlich gesagt werden, dass die spätere Gründung sich nicht vollzog als Durchführung eines gutüberlegten strategischen Planes sondern als eine mehr zufällige Aneinanderreihung der verschiedensten Umstände.
Äthiopien hatte seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann noch einmal verstärkt nach dem 2. Weltkrieg Anstrengungen unternommen, einen anerkannten Platz in der Gemeinschaft der Nationen zu finden. Kaiser Haile Selassie hatte klar erkannt, dass nur eine bessere Bildung des Klerus und der Beamten ganz allgemein Äthiopien die Chance geben konnte, einen gleichberechtigten Platz in der Gemeinschaft der Kirchen und der Völker zu finden. Ein typischer Weg bestand in der Förderung der aufgeweckten Jugendlichen, von der Dorfschule zur Bischofsschule bis zum Priesterseminar in Addis Abeba, der Hauptstadt. Es ist ein abenteuerlicher Weg für einen Jungen, der seinen Weg vom Dorf ohne Straße, ohne elektrische Energie, über das Internat in der Bischofsstadt bis hin zum Studentenheim in der expandieren Hauptstadt geht. So hat die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche versucht, fähigen Nachwuchs auszubilden in der langen Tradition dieser altehrwürdigen Kirche.
Den erfolgreichen Studenten des hauptstädtischen Priesterseminars standen alle Türen offen für eine sichere Karriere in der Kirche. Die Kirche selbst befand sich in einer rasanten inneren Veränderung, mit der Erlangung der Autokephalie wollte die Kirche möglichst schnell eine stabile, der modernen Zeit angepaßte Organisationsform finden. Die äthiopische Kirche, die seit ihrer Gründung 325 bis in die 50er Jahre des 20. Jahrh. ausschließlich von ägyptischen Bischöfen geführt worden war, wollte nun endlich selbst im eigenem Haus zu sagen haben und somit war der Karriereweg für fähige Priester weit offen. Für einige besonders qualifizierte junge Priester war nach den Jahren der Isolation Äthiopiens auch der Weg ins Ausland eröffnet, denn die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche wollte ihre Rolle im Konzert der verschiedenen Kirchen spielen. Junge äthiopische Priester, wie auch sonstige junge Wissenschaftler wurden so in alle Welt zur Vertiefung des Studiums geschickt, hierbei wurde einer der Priester nach St. Petersburg zu einem Priesterseminar der russisch orthodoxen Kirche geschickt. Damals meinte man, diese Priesterseminare im Bereich der Sowjetunion seinen nur Ausbildungsstätten für Kommunisten; heute wissen wir, dass es der russisch orthodoxen Kirche im Grund sehr gut gelungen ist, ihren Glauben trotz der Verfolgungen zu bewahren. In der tiefverwurzelten Frömmigkeit sind die russische und die äthiopische Kirche sicher verwandt. Nach dem erfolgreichen Abschluß des Studiums in St. Petersburg fand der Priester wieder seinen Weg nach Addis Abeba und im Grunde war klar, dass er sein priesterliches Amt nicht wie sein Vater im Dorf, sondern in der hauptstädtischen Verwaltung der Kirche ausüben soll. Ein weiterer Blick über die Grenzen, dieses Mal in den Bereich der protestantischen Kirchen, sollte die Ausbildung abrunden und vertiefen. So wurde dem Priester die Chance gegeben, in Deutschland, genaugenommen in Heidelberg zu promovieren.
Hier in Heidelberg sieht sich der junge Priester unmittelbar mit den unerfreulichen Entwicklungen in seiner Heimat konfrontiert. Das kommunistische Regime versucht, die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche durch ein Medienverbot entscheidend zu schwächen; Gottesdienste und Predigten dürfen nicht mehr im Rundfunk oder Fernsehen übertragen werden. Da erhält er das Angebot, Gottesdienste über die Deutsche Welle nach Äthiopien zu übertragen. Der Priester entscheidet sich für das Unerhörte, er ist bereit, in Deutschland einen Gottesdienst nach dem uralten Ritus der Äthiopisch Orthodoxen Kirche zu feiern und diesen nach Äthiopien übertragen zu lassen.
Gottesdienst feiern ist aber keine Angelegenheit, die ein Priester alleine veranstaltet, es ist immer eine Wiederholung der Gemeinschaft beim letzten Abendmal, also wurden Äthiopier gesucht, die sich zum ersten Gottesdienst nach dem Ritus der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche auf deutschem Boden versammelten. Mit diesem ersten Gottesdienst, der dann auch nach Äthiopien gesendet wurde, war zwar im nachhinein der Grundstein für die Gründung der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland gelegt, aber keiner der Beteiligten dachte damals an die Gründung einer Kirche.
War es richtig, das Verbot der Machthaber in Äthiopien von Deutschland aus zu unterlaufen? Wer wird hierdurch in Gefahr gebracht; denn die Machthaber waren weiß Gott nicht allzu zimperlich? Diese und ähnliche Fragen bewegten den Priester, den wir jetzt persönlich vorstellen wollen. Es ist Dr. Merawi Tebege, der mittlerweile 27 Jahre in Deutschland lebt, zunächst in Heidelberg und seit 25 Jahren in Köln, das ihm und seiner Familie zur 2. Heimat geworden ist. Er entstammt einem kleinen armen Dorf in der Provinz Tigre. Seine Fähigkeiten wurden bereits in sehr frühen Jahren gesehen und gefördert. Das Gottvertrauen seines ersten geistigen Lehrers hat ihn tief geprägt, seine Frömmigkeit und seine Bereitschaft, anderen geduldig zuzuhören. Die Erziehung wurde fortgesetzt in der Bischofsschule von Gondar, der früheren Hauptstadt Äthiopiens. Es folgte das Priesterseminar in Addis Abeba mit dem nachfolgenden Vertiefungsstudium in St. Petersburg. Nach einer kurzen Episode der Arbeit in der Kirchenverwaltung promovierte er in Heidelberg bei Herrn Prof. Heyer, weltweit einer der führenden Kenner der äthiopischen Orthodoxie. Kurz vor der Vollendung der Promotion zog auch seine Ehefrau, die er nach der Rückkehr aus St. Petersburg in Addis Abeba geheiratet hatte, nach Heidelberg in der Erwartung, alsbald wieder in ihr Heimatland zurückzukehren. Dass aus dem geplanten kurzen Auslandsaufenthalt für die Familie eine über 25-jährige Trennung von der Heimat werden würde, das konnte sich damals keiner vorstellen.
Der erste äthiopische Gottesdienst war gefeiert worden, alle waren zufrieden, die Kommilitonen, die äthiopischen Flüchtlinge, die sich in die für sie so fremde Universität getraut hatten, und der Priester samt Ehefrau. Und es folgten weitere Gottesdienste in der Kapelle des Studentenwerkes. Die Verhältnisse in Äthiopien verbesserten sich nicht. Der im Grunde unbekannte Doktorand in Heidelberg wurde eine bekannte Persönlichkeit in Äthiopien, sein Gottesdienst wurde in ganz Äthiopien gehört; als alle schweigen mußten, konnte seine Stimme und sein Gottesdienst gehört werden. Die äthiopischen Flüchtlinge mußten nicht mehr mühsam zusammengetrommelt werden, sie kamen von alleine und in Scharen zum Gottesdienst.
Die Zukunftsplanung der Familie Tebege mit ihrem Sohn war eigentlich ganz einfach, in Deutschland leben, bis die Promotion endgültig abgeschlossen ist und dann zurückkehren nach Äthiopien, um dort in der Kirchenverwaltung zu arbeiten. Durch die Gottesdienste hatte sich aber etwas Entscheidendes geändert, der bisher nur wenigen Priestern bekannte junge Mann war allgemein in Äthiopien bekannt geworden und der bisher nur als Wissenschaftler aufgefallene Priester hatte gezeigt, dass er tatsächlich eine pastorale Funktion übernehmen kann.
Wann zum ersten Mal davon geredet wurde, in Deutschland eine eigenständige Gemeinde der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche zu gründen, ist nicht mehr richtig zu ermitteln; aber der Gedanke ergriff die Herzen der Beteiligten. Es war klar, dass ein solcher Impuls keinesfalls von Addis Abeba ausgehen würde, denn die Kirche in Äthiopien hatte andere Sorgen, als sich um die Flüchtlinge in aller Welt zu kümmern. Es war auch klar, dass Tausende von Äthiopier nach Deutschland geflohen waren und dass die katholischen oder evangelischen Ortskirchen nur höchst unvollkommen deren pastorale Betreuung übernehmen konnten. Das größte und deutlichste Hindernis war die Sprachbarriere; es gab aber tiefverwurzelt noch weitere Schwierigkeiten.
Die Äthiopier kommen aus einem armen Land, aber sie tragen mit sich das Selbstbewußtsein als einziges afrikanisches Land nicht kolonisiert worden zu sein und ihr Christentum trotz aller Anfechtungen über 1600 Jahre verteidigt zu haben. Dieses Selbstbewußtsein, dieser begründete Stolz auf die eigene kulturelle Identität macht es Ihnen sehr schwer, Hilfe bettelnd anzunehmen. Die überwiegende Anzahl der äthiopischen Flüchtlinge hatten keine Schwierigkeiten damit, mit der geringen Sozialhilfe auszukommen; sparsam zu wirtschaften und Not zu ertragen, das sind die Äthiopier gewohnt, große Schwierigkeiten bereitete den Äthiopier aber als Menschen 2. oder 3. Klasse angesehen zu werden. Notgedrungen ließen die äthiopischen Flüchtlinge ihre Kinder in den deutschen Kirchen taufen; denn irgendeine Taufe ist besser als gar keine; dennoch richtig zufrieden war weder der taufende Priester noch die äthiopischen Eltern. Diese Darstellung will keinesfalls den taufenden Priester herabwürdigen, denn er hat ja alles getan, um den Bibelspruch für Menschen aller Rassen Realität werden zu lassen.
Prof. Heyer, der Mentor und Förderer seines Schüler Merawi Tebege war aufs innigste mit den Äthiopiern vertraut und suchte nach Möglichkeiten, den verstreut und einsam lebenden Flüchtlingen pastorale Hilfe angedeihen zu lassen und hatte in der Gestalt seine Doktoranden einen Priester gefunden, der diese Aufgabe übernehmen kann und er machte sich daran, diese Idee in die Tat umzusetzen.
Die wichtigste Aufgabe bestand darin, die Gedanken der Familie Tebege frei zu machen, daß sie überhaupt an die Möglichkeit denken konnte, eine völlig neue Zukunftsperspektive zu wählen. Aber was konnte man der Familie anbieten? In Realität nichts, wirklich nichts! In Addis Abeba wartete auf die junge Familie eine Aufgabe in der Kirchenverwaltung mit einem sicheren Einkommen, was für eine junge Familie mit Kind nicht gerade unwichtig ist. In Deutschland zu bleiben heißt demgegenüber, auf jede Sicherheit zu verzichten, irgendwie zu hoffen, dass man die Familie irgendwie schon durchbringt; aber gleichzeitig ein Leben in Freiheit, ohne Angst zu haben vor den Machthabern in Äthiopien. Man kann sich gut denken, dass die Machthaber nicht so richtig glücklich waren mit den jahrelangen Rundfundsendungen aus Deutschland, auch wenn sie später das Verbot in Äthiopien wieder aufhoben.
Wir wissen nicht, was den Ausschlag gegeben hat, können uns aber gut vorstellen, dass es das tiefverwurzelte Gottvertrauen, das ihm sein erster geistiger Lehrer vermittelt hat, war, das Herrn Dr. Tebege die Kraft gab, das Missionsgebot Jesu Christi in die Tat umzusetzen. Die Familie Tebege in Heidelberg wurde bereit, Verantwortung für die äthiopischen Flüchtlinge in Deutschland zu übernehmen.
Die Idee, eine Gemeinde der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland aufzubauen, war geboren und jetzt galt es, die Tausenden von Schwierigkeiten zu überwinden. Sein Studienkollege, der ihm als Diakon treu zur Seite gestanden hatte, entschied sich im Gegensatz zur Familie Tebege, wieder in die Heimat zurückzukehren; also mußte die Familie Tebege den Weg alleine gehen und sie konnte diesen Weg nur weitergehen, wenn sie auf jegliche materielle Sicherheit verzichtete. Die Ehefrau wurde trotz Kinder bereit, in Deutschland ohne sichere Deutschkenntnisse zu arbeiten, um das Wagnis der eigenen Kirche in Deutschland zu ermöglichen. Herr Prof. Heyer begab sich auf die Suche, nach einem Ort für die Kirche und fand in Superintendent Kock den richtigen Partner.
Superintendent Kock vom Kirchenkreis Köln-Nord hatte ein offenes Ohr für die Bemühungen um eine Kirchengründung und fasste Vertrauen in dem ihm bisher unbekannten jungen Priester. Er bot die Luther-Kapelle in Köln-Longerich als Sitz der neu zu gründenden Kirche an. Nach langen, auch kontroversen Verhandlungen lag das Angebot vor, die Luther-Kapelle praktisch ohne Miete mitnutzen zu können. Die Vision des Herrn Kock von einer Harmonie im ökumenischen Geiste muß irgendwie Eingang in die Herzen der Kirchenältesten gefunden haben und die Äthiopier konnten von Beginn an das beglückende Gefühl haben, willkommen zu sein. In dem Superintendenten Kock, der später Präses der Rheinischen Kirche und Ratsvorsitzender der EKD wurde, hatte die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche immer eine starke Stütze.
Eine Wohnung für die junge Familie in Köln nicht allzu weit entfernt von der Kirche zu finden, war dann keine unüberwindliche Herausforderung.
Wesentlich schwieriger war es dagegen die äthiopischen Flüchtlinge zur Mitarbeit an der Kirchengründung zu bewegen und die Mutterkirche zu überreden, die neu zu gründende Auslandskirche anzuerkennen und ihr den Segen zu geben. Beide Problemkreise hängen innerlich sehr zusammen.
Die Flüchtlinge waren froh, ihr Leben gerettet zu haben und wollten nichts mehr mit der äthiopischen Staatsführung, die nunmehr Gott sei Dank tausende Kilometer entfernt ihr Unwesen trieb, zu tun haben. Da die kirchliche Führung über Jahrhunderte immer wieder eng mit der staatlichen Führung zusammengearbeitet hatte, sollte die Staatsführung auch nicht über die Kirche wieder Einfluss auf die gläubigen Flüchtlinge haben. Kurz gesprochen bei den Flüchtlingen war die Bereitschaft groß, ähnlich wie es die Russen nach 1920 gemacht haben, eine Auslandskirche ohne Segen des Patriarchates zu gründen. Das aber war für den gläubigen Priester Dr. Tebege unmöglich, der treu zu seiner Kirche stand und steht. Umgekehrt war offensichtlich das Patriarchat in Addis Abeba nicht so richtig begeissert, einer Kirche für Flüchtlinge und dem Priester, der die Gesetze des kommunistischen Regimes mißachtet und unterlaufen hat, ihren Segen zu erteilen.
Nach langem Zögern erklärte sich dann endlich das Patriarchat bereit, eine Auslandsgemeinde in Deutschland zuzulassen und ihr den Segen zu geben. Von dem Hin und Her innerhalb der äthiopischen Gemeinde soll nur berichtet werden, dass eine kämpferische Gruppe die neu zu gründende Kirche als kommunistisch infiltriert bekämpfte und fast die Gründung verhindert hätte. Zur damaligen Zeit war es auch schwer zu glauben, dass eine theologische Ausbildung in der Sowjetunion wirklich zu einer Vertiefung der Frömmigkeit und des Gottvertrauens führen konnte. Nach intensiven Beratungen war dann auch die Rechtsform für die zu gründende Kirche gefunden, nämlich nach deutschem Recht in der Rechtsform des eingetragenen Vereins.
So stand 1983 endlich fest, dass eine Auslandskirche der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Köln als Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland e.V. gegründet werden solle mit Herrn Dr. Merawi Tebege als Vorsitzenden und als vom Patriarchen bestellten Priester.
Es fällt schwer, sich die vielen verschiedenen damaligen Ereignisse in Erinnerung zu rufen; die Freude über die Gründung bei der gleichzeitigen Unsicherheit über die Zukunft und die wütenden Proteste und die abwartende aber positive Haltung der Longericher Protestanten, die ihre Kapelle zur Mitnutzung überlassen hatten. Die intensive Frömmigkeit der Äthiopier war aber offensichtlich ansteckend, denn die Longericher Protestanten schlossen ihre Äthiopier in ihr Herz. Schon nach wenigen Jahren des reibungslosen Nebeneinanders wurde den Äthiopiern erst inoffiziell später offiziell die Martin-Luther-Kapelle zur ausschließlichen Nutzung überlassen; sie wurde zur St. Mikaels Kirche. Äußerlich hat sich die Kirche bis heute nicht verändert und dies wird aufgrund der Gesetze auch so bleiben, im Inneren hat sich aber eine grundlegende Wandlung vollzogen. Aus dem protestantisch schmucklosen Bau wurde eine bunt geschmückte Kirche mit Ikonostase.
Der äußere Akt der Gründung der Kirche mit der feierlichen Weihe des Gotteshauses ließen nur für einen kurzen Zeitraum die finanziellen Probleme der neuen Kirche übersehen. Es war von Anbeginn klargestellt, dass die Mutterkirche in Addis Abeba kein Geld zum Überleben der deutschen Tochter zur Verfügung stellen kann. Der überwiegende Teil der Gläubigen waren arme Flüchtlinge, die alles verloren hatte und von der deutschen Sozialhilfe lebten, von dieser Seite konnte nicht mit einem großen Spendenaufkommen gerechnet werden. Darüber hinaus waren es die Äthiopier gewöhnt, dass ihre Kirche für sich selbst aufkommt, sie selbst also keinen essentiellen Beitrag zum Unterhalt der Priester zu leisten hatten. Zur Zeit des europäischen Mittelalters hatte der äthiopische Kaiser der Kirche insgesamt ungefähr ein 1/3 des Bodens seines Reiches übergeben. Die Kirche hatte damit genug Grundbesitz, um ihren gesamten Klerus und alle Mönche ernähren zu können. Konkret bedeutete dies aber, dass der jeweilige Priester in seinem Dorf ein Teil des Kirchenlandes bearbeiten durfte und sich vom Ertrag seiner Arbeit ernähren konnte. An Wochentagen arbeiteten alle auf den Feldern, nur an Sonn- und Feiertagen wurde erkennbar, wer zum Klerus gehörte, also in dem Dienst der Kirche stand. Über Jahrhunderte brauchten so die Gläubigen nicht durch ihre Spenden für den wirtschaftlichen Bestand ihrer Äthiopisch-Orthdodoxen Kirche aufzukommen. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche mußte in Äthiopien den Schock der Enteignung verkraften, in Deutschland mußten ebenfalls die Gläubigen sich damit abfinden, dass sie als Gemeinde für die wirtschaftliche Grundlage ihrer Kirche zu sorgen haben.
Die junge Kirche mußte so Bettelbriefe schreiben. In großer Dankbarkeit erinnert sich die Kirche an die mannigfachen Gaben und Spenden, die bei ihr einliefen. Von der Organisation europäischer Kirchen bis zu kleinen Spenden Privater, groß war die Bereitschaft der jungen unbekannten Kirche zu helfen. Hier verdient auch hervorgehoben zu werden, dass die Evangelische Kirche in all ihren Gliederungen ihre Patenstellung, die sie mit dem Zurverfügungstellen der Luther-Kapelle übernommen hat, auch in finanzieller Hinsicht voll erfüllt hat. Aber diese Bettelwirtschaft hat nichts mit einer soliden Finanzierung einer wenn auch kleinen Kirche zu tun.
In Äthiopien waren die Gläubigen es gewohnt, sich regelmäßig zum Gottesdienst zu treffen und natürlich auch ihren Priester gut zu kennen. Die Kirche war mit Sitz in Köln gegründet worden und die Gläubigen wohnen im gesamten Bereich der Bundesrepublik Deutschland; es wurde also eine wirklich weit gestreute Diasporagemeinde gegründet; deren Gemeindemitglieder so arm waren, dass sie kaum den öffentlichen Verkehr nutzen konnten, von der fehlenden Vertrautheit und den fehlenden Sprachkenntnissen ganz zu schweigen.
Die St. Mikaels Kirche in Köln nutzte damit nur den äthiopischen Gläubigen, die im Rheinland wohnten und der Besuch der Gottesdienste wurde stärker. Wie schon erwähnt, fiel den Longerichern Nachbarn die friedliche Frömmigkeit der Äthiopierinnen und Äthiopier auf, und die abwartende Haltung wich dem Wohlwollen und der Anerkennung. Bei dem Fest des 20-jährigen Bestehens der Äthiopisch-Orthdoxen Kirche in Deutschland war es gut erkennbar, dass die Kirche gut im Kreis der anderen, größern christlichen Kirchen aufgenommen worden war und dass die äthiopischen Gläubigen als Bereicherung akzeptiert worden sind. Die Prozession der äthiopischen Kirche war zwar anders als die Fronleichnamsprozession, nämlich bunter und lebendiger, wurde aber genauso freundlich aufgenommen. Es ist heute selbstverständlich, dass die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Köln-Longerich bei allen Veranstaltungen, die nicht nur eine Kirche betreffen, als allgemein anerkannter ökumenischer Partner mitwirkt. Die kühnsten Hoffnungen bei der Gründung der Kirche für das friedliche ökumenische Zusammenleben haben sich erfüllt. Wie selbstverständlich haben die Äthiopier mitgewirkt, als es darum ging, in Köln-Longerich eine Veranstaltung im Rahmen des Evangelischen Kirchentages in Köln durchzuführen.
Mit der Verbesserung der Situation in Köln war aber keinesfalls das Problem der Diasporagemeinde gelöst und die junge Kirche mußte den Kraftakt übernehmen, sich zu teilen, also aus der einen Gemeinde in Köln mehrere Gemeinden in ganz Deutschland entstehen zu lassen. Im Laufe der 25 Jahre wurden so Gemeinden in München, Frankfurt, Berlin, Stuttgart, Wiesbaden und Nürnberg sozusagen als Tochtergemeinden der Kölner Gemeinde gegründet. Die Organisationsstruktur der Kirche hat sich so erheblich verbessert, zufriedenstellend ist die pastorale Betreuung der Gläubigen aber noch lange nicht.
Glücklicherweise hat sich in den 25 Jahren die Lage der Gläubigen beträchtlich verbessert. Selbstverständlich gibt es noch die mittlerweile alt gewordenen Flüchtlinge, die sich aber gut an das Leben in Deutschland angepasst haben; also nur noch geringe Sprachschwierigkeiten zu überwinden haben und sich frei fühlen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Schon bei der 20-Jahr-Feier war aufgefallen, dass die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche eine junge Kirche ist, dass der überwiegende Teil der Teilnehmer zwischen 17 bis 40 Jahre alt war. Diese Gläubigen haben überhaupt keine Schwierigkeiten mehr, sich in der deutschen Gesellschaft zu bewegen und für diese ist die Bundesrepublik Deutschland die neue Heimat geworden. Glücklicherweise haben viele der Gläubigen eine Arbeitsstelle gefunden, so daß heute nicht mehr gesagt werden kann und darf, dass die Äthiopisch-Orthdoxe Kirche eine Kirche der Sozialhilfeempfänger ist. Während noch viele der Äthiopier bei der Gründung der Kirche davon träumten, in ihr Heimatland zurückkehren zu können, was nach der Änderung der politischen Verhältnisse nach 1991 tatsächlich nur zu einem geringen Prozentsatz erfolgte, ist für die heutige Generation der Gedanke an Rückkehr sehr fern.
Es ist sehr schwer, die Bedeutung einer Kirche abzuschätzen, denn letztlich soll die Kirche dem Gläubigen seinen persönlichen Zugang zu dem einen Gott ermöglichen, erleichtern. Besser abzuschätzen ist, was die Kirche im sozialen Umfeld leistet bzw. geleistet hat. Die Äthiopier sind zwar keine große Gruppe der Ausländer in Deutschland, aber sie sind deutlich als Ausländer erkennbar, werden also immer als Ausländer wahrgenommen. Dennoch ist es den Äthiopierinnen und den Äthiopiern gelungen, sich sehr spannungsfrei in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Integration heißt ja nicht, Unterschiede einzuebnen sondern den Versuch zu unternehmen, die Unterschiede so auszuleben, dass sie keine großen oder kleinen Reibereien und Konflikte erzeugen. Grob und vereinfacht kann gesagt werden, dass die Äthiopier friedlich und selbstbewußt in der deutschen Gesellschaft leben. Es spricht einiges dafür, dass die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche für viele der hier lebenden Äthiopierinnen und Äthiopier die Kraftquelle darstellt, die es ihnen ermöglicht, die eigene Identität unter Berücksichtigung der traditionellen soziokulturellen Identität zu entwickeln.
Wir waren abgeschweift von der chaotischen Finanzlage der jungen, neugegründeten Kirche. Da war auf einmal Hoffnung da, die EKD bot der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland an, Mitglied der Ökumenischen Kommission zur Unterstützung Orthodoxer Priester zu werden. Diese Kommission war ins Leben gerufen worden, um Priestern der Orthodoxen Kirchen in Deutschland ein angemessenes Gehalt zu garantieren. Endlich war eine tragfähige wirtschaftliche Grundlage für die Familie des Priesters da; die galt es zu nutzen doch leider währte die Freude dann nur kurze Zeit. Aus der Vollfinanzierung des Unterhalts der orthodoxen Priester wurde eine immer geringer werdenden Unterstützung der jeweiligen Kirche.
Es spricht aber für die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland, dass sie diesen finanziellen Schlag zwar mit vielen Schmerzen, letztlich aber doch überwinden konnte. 25 Jahre nach der Gründung ist die Kirche zwar immer noch auf finanzielle Hilfen seitens der großen Kirchen angewiesen, aber nicht mehr zu 95 % wie zu Beginn sondern nur noch zu 10 %. Die Gläubigen haben die Zeichen der Zeit verstanden und tragen wirklich überwiegend die Kosten ihrer Kirche.
Wie schon ausgeführt war dem verantwortlichen Priester Dr. Merawi Tebege klar, dass seine Kirche nur als Tochter der Mutterkirche in Addis Abeba gegründet werden sollte und auch in Zukunft sollte das Verhältnis zur Mutterkirche problematische Aspekte für die Auslandskirche mit sich bringen. Mit der Beendigung des Bürgerkrieges in Äthiopien und der Beendigung der marxistischen Herrschaftsform fand es die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche für angemessen, einen neuen Patriarchen zu wählen; viele waren der Auffassung, dass der bisherige Patriarch eine zu große Nähe zu den Machthabern gehabt habe, was an und für sich seit Jahrhunderten Brauch in Äthiopien ist. Es wurde ein neuer Patriarch gewählt und man kann sich denken, was geschah, viele Gläubige der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, und zwar Priester, Bischöfe, Mönche und Laien weigerten sich, den neuen Patriarchen anzuerkennen. Der Widerstand war besonders stark in den angelsächsischen Ländern, also Großbritannien und den USA und berührte auch Deutschland. Was aber bei der Gründung mühsam durchgefochten worden war, mußte in einer neuen lebhaftigen Auseinandersetzung bestätigt werden. Es war ein wichtiger Kampf für die Einheit der einen äthiopischen Kirche und mit wirklich viel Mühe und noch mehr Geduld kann heute wieder davon gesprochen werden, dass die äthiopische Auslandskirche in Treue zum Patriarchen in Addis Abeba steht. Sichtbares Zeichen dieser klaren Verbundenheit wird der Besuch des vom Patriarchen eingesetzten Erzbischofs für Westeuropa bei der 25-Jahr-Feier sein.
Neben den Anstrengungen für die Gründung ist wohl das immerwährende Bemühen um die Einheit der Kirche ein herausragendes Merkmal der Führung seitens des Erzpriesters Dr. Merawi Tebege. Er wird hierin unterstützt von seinen Mitbrüdern in den schon aufgezählten Gemeinden. Es kann aber wirklich gesagt werden, dass der Kampf um die Einheit der Kirche ein sehr schmerzlicher Kampf ist.
Auf der anderen Seite ist es der Kirche gelungen, eine anerkannte Rolle in der ökumenischen Bewegung zu finden. Die Kirche hat nicht nur gute Beziehungen zu den altorientalischen Kirchen, dies ist fast selbstverständlich, sie hat auch sehr gute Beziehungen zur Orthodoxie insgesamt, in Deutschland vertreten durch den Metropoliten des Patriarchates von Konstantinopel, sowie zur Katholischen und Evangelischen Kirche. Seit Jahren arbeitet die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche bei der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) mit. Es war wie selbstverständlich und dennoch war es etwas Besonderes, die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche war beim Papstempfang zugegen wie auch bei der feierlichen Unterzeichnung der gegenseitigen Anerkennung der Taufe.
Die 20-Jahr-Feier der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Köln erweckte viele Erinnerungen bei den evangelischen Gläubigen. Die Martin Luther Kapelle war das erste evangelische Gotteshaus im Kölner Norden; von weit her kamen die Gläubigen, um hier Gottesdienst zu feiern. Der Bau dieser Kapelle war auch ein Signal zum Aufbruch, ein Signal zur inneren Mission. Diese Erinnerung an die Aufbruchsjahre des Protestantismus im Kölner Norden führte aber nicht zu einer resignativen Haltung, zu einer Grundhaltung, dies können wir doch nicht weggeben, sondern verstärkte die Longericher Gemeinde, wie auch die anderen Gemeinden des Kölner Nordens in ihrem Wunsch, in Gemeinschaft mit der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche eine Vertiefung und Erneuerung des christlichen Lebens zu unternehmen. Wer die ökumenische Zusammenarbeit der katholischen, evangelischen und äthiopischen Kirche erlebt hat, hat erfahren, dass mehrere Kirchen an einem Ort viel positives bewirken können. Diese gute Zusammenarbeit geschieht auf allen Ebenen; es besteht ein gutes Vertrauensverhältnis unter den Priestern, wie den Pfarrgemeinderäten wie auch der Gläubigen insgesamt. Wie selbstverständlich wurde angenommen, dass bei dem gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst ein äthiopisches Essen den Abschluss bildet. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche und die Äthiopierinnen und Äthiopier empfinden eine tiefe Dankbarkeit gegenüber den deutschen Christen, die der jungen kleinen Diasporakirche eine Überlebenschance geschenkt haben.
Im familiären Kreis hat sich auch viel Positives entwickelt, auch wenn Freude und Leid sehr dicht beieinander liegen. Für den Priester Dr. Merawi Tebege, der aus einer Priesterfamilie entstammt, war es im Grunde klar, dass sein Sohn Priester werden sollte und so wurde er in jungen Jahren, wie es in Äthiopien üblich ist, zum Diakon geweiht. Dank seiner hervorragenden Leistungen in der Schule war es nach dem Abitur ohne weiteres möglich, in Deutschland Theologie zu studieren und der Sohn studierte zum Kummer seines Vaters Mathematik. Der Vater ist stolz darüber, dass sein Sohn promovierte und Wehmut gehört dazu, denn der Sohn hätte wohl auch ein hervorragender Priester werden können. Der tiefgläubige orthodoxe Priester läßt seinem Sohn freie Hand bei der Wahl seines Studienfaches, weil er zutiefst innerlich überzeugt ist, dass Gottesdienst nur auf freiwilliger Basis vollzogen werden kann. So leben heute, 25 Jahre nach der Gründung der Kirche, Herr Dr. Merawi Tebege und seine Ehefrau Negat, wieder alleine, denn das Wagnis, eine Kirchengründung an verantwortlicher Stelle mitzugestalten, führte dazu, dass die zwei Kinder und das Pflegekind erfolgreich in Deutschland studieren konnten und so ihren eigenen Weg finden konnten.
Vor 25 Jahren war vieles höchst unsicher, sicher waren Herr Dr. Merawi Tebege und seine Ehefrau Negat in ihrem Vertrauen auf den einen Gott, wie er uns überliefert ist in der Bibel. Es ist so unglaublich, dass dieses Gottvertrauen die Familie und die Kirche über so viele Schwierigkeiten geholfen hat, es ist unglaublich aber gleichzeitig auch folgerichtig, dass heute die Kirche in Köln-Longerich feiern kann in dem Vertrauen auf das Versprechen Jesu Christi, dass er bei uns ist, wenn wir uns in seinem Namen versammeln.